Das Medium «Telefonieren» ist das Problem

Nicht die Menschen, die nicht gerne telefonieren, sind das Problem!

In der heutigen digitalen Ära, in der Kommunikation so vielfältig und zugänglich ist wie nie zuvor, wirft das Medium Telefonieren eine interessante Frage auf: Warum lehnen viele Millennials und vor allem Angehörige der Generationen Z und Alpha dieses Kommunikationsmittel stark ab, während viele Menschen der Generation X und Boomer dieses Medium nicht ins Pfefferland schicken können?

Ein Beitrag in «20 Minuten» beleuchtet dieses Thema und verbreitet dabei mehrfach die Behauptung, die jüngeren Generationen hätten eine «Telefon-Angst». Quatsch: Nicht die Menschen haben Angst vor diesem Medium, sondern das Medium selbst hat ein Problem, hat mehrere Probleme.

Die Perspektive der Generation Alpha und Gen-Z

Für die Alphas, also die Menschen, die ab 2010 geboren wurden und die etwas ältere Generation Z ist das Telefonieren oft mit einem Gefühl der Belästigung verbunden. In einer Welt, in der Chats, Mails und Social Media die bevorzugten Kommunikationsmittel sind, erscheint ein Telefonat «out of the blue» wie eine unangekündigte Störung. Das Telefonieren wird als ein aggressives «Push-Medium» wahrgenommen – es setzt voraus, dass der Angerufene sofort Zeit und Raum für das Gespräch hat, was oft nicht der Fall ist. Diese Generationen bevorzugen asynchrone Kommunikationsformen, die es ihnen ermöglichen, Nachrichten in ihrem eigenen Tempo zu beantworten, ohne den Druck eines unmittelbaren, direkten Austauschs.

Telefonieren nein; Sprachnachrichten ja

Das ist der grosse Vorteil von Sprachnachrichten! Sprachnachrichten fusionieren das zeitversetzte Kommunizieren mit dem Vermitteln von Gefühlen, was nur via Stimme wirklich möglich ist. Auch das haben viele Viel- und Gerntelefonierer*innen insbesondere dann nicht begriffen, wenn sie über das Ping-Pong von Sprachnachrichten lästern.

«No Papertrail»

Ein weiterer Kritikpunkt ist das Potenzial von Manipulation während den flüchtigen Telefonaten. Worte können leicht aus dem Kontext gerissen oder missverstanden werden. «Das habe ich so nie gesagt» ist ein möglicher Satz, der nach Gesprächen fällt, die über das Telefon geführt wurden.

Die fehlende Zeit zur Überlegung und das fehlende Sichtfeld auf nonverbale Kommunikation können zu Missverständnissen führen. Also besser einen Videocall terminlich vereinbaren als sofort via Telefonanruf ein Bedürfnis klären zu wollen.

Das Telefon als Medium der Entlarvung

Ein weiterer Aspekt, der das Telefonat für viele unangenehm macht, ist die direkte Konfrontation mit der eigenen Stimme und dem emotionalen Zustand. Durch das Telefon hört man sofort, ob jemand sich wohl fühlt oder nicht. Diese direkte Entblössung der eigenen Emotionen und Unsicherheiten kann bedrohlich wirken, besonders in einer Gesellschaft, die oft nach Perfektion strebt.

Die Generation X kann nicht ohne

Für die Generation X hingegen ist das Telefonieren oft ein Symbol der Effizienz und Direktheit. Sie wuchs in einer Zeit auf, in der das Telefon der Hauptweg war, um sofort und persönlich zu kommunizieren.

Viele von ihnen empfinden das Telefonat als die effizienteste Methode, um Dinge zu besprechen, die gerade so gut durch Textnachrichten oder E-Mails vermittelt werden könnten. Hier liegt ein kultureller Unterschied: Während die Jüngeren den Fokus auf Flexibilität und Unabhängigkeit legen, ist die Generation X auf sofortige Rückmeldung angewiesen.

Ein Plädoyer für Anpassung der Älteren

Mein eigenes Verständnis für die Abneigung der Jüngeren gegenüber Telefonaten ist grösser als das Verständnis gegenüber der älteren Generation, die unter anderem auch ihre Lust zu Reden via Telefon befriedigen möchte.

Klar ist: In einer Welt, die zunehmend von asynchroner und vernetzter Kommunikation geprägt ist, sollte das Anrufen nicht ohne vorherige Absprache, unter anderem terminlich, genutzt werden.

Es ist wichtig, dass wir uns an die neuen Kommunikationsnormen anpassen und respektieren, dass die jüngeren Generationen jetzt schon darüber mitentscheiden sollten, welches die Leitmedien für welche Zwecke sind, um die dutzenden digital Divides früher als später zu überwinden.

Damals in den Siebzigern und Achtzigern des letzten Jahrhunderts, damals haben junge Menschen das Telefonieren nebenbei gelernt…

Media Change ist jetzt. (Nicht in 20 Jahren …)

Das Medium Telefonieren steht somit exemplarisch für die sich wandelnden Kommunikationsformen und -normen. Während es für die einen ein Werkzeug der Effizienz und direkten Kommunikation ist, empfinden es andere als invasiv und unangenehm. Während es für Effizienz und direkte Kommunikation funktionale Äquivalente gibt, sind unangenehme Gefühle zu respektieren.

Diese Unterschiede zu erkennen, ist der Schlüssel zu einer harmonischen Kommunikation über die Generationen hinweg, und diejenigen, die heute im Zentrum der Macht stehen – und das sind heute die Angehörigen der Generation X – sollten mehr Rücksicht auf die Jüngeren nehmen.

Meine Tabuzone für Telefonanrufe

Wenn mich jemand für ein Verkaufsgespräch betreffend einer Sache, die ich via Secondhand-Plattform verkaufen möchte, um meine Tel-Nummer bittet, und telefonieren möchte, dann lehne ich das kategorisch ab und schreibe zurück, dass ich alles hier im Chat besprechen möchte. Erstens war die Person offensichtlich zu faul, um meine Tel-Nummer via Suche im Netz selber zu besorgen und zweitens verachte ich das Dealen via Gerede um einen Verkaufspreis, während ich das Verhandeln via Text-Chat sehr gerne habe.

Eine krasse Form von möglicher Manipulation im privaten sozialen Kontext via dem Medium «Telefonieren» zeigt dieses Insta-Reel 😅😭

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